Montag, 02.09.91
Schon vor dem Frühstück überprüfe ich mein
Fahrrad und packe, soweit wie möglich, alles zusammen. Der Himmel ist stark
bewölkt. Zeitweise scheint die Sonne. Im Frühstückszimmer bin ich der erste
Gast.
Um 8.40 Uhr beginne ich dann den letzten großen
Anstieg zum höchsten Paß der Alpen. Die Straße wird schon am Ortsrand
schmaler und die Steigung setzt unvermittelt ein. Über eine Kehrengruppe
verlasse ich das Tal von Jausiers. Die Berge rundum sind nicht mehr so schroff
wie noch vor einigen Tagen. So kann man auch kaum vermuten, was heute noch zu
erwarten ist. Die höchsten Erhebungen sind noch nicht einmal 2900 Meter hoch.
Nach der Kehrengruppe wird Lans le Villard, der
letzte Ort des Tales, umfahren. Das Tal wird nun enger. Dann wird auch die Straße
schlechter und viel enger, und es folgt eine weitere Kehrengruppe mit Steigungen
um 12%. Es muß eine vorstehende Felswand umfahren werden. Darauf folgt ein
weiteres Hochtal. Hier ist es schon bedeutend öder.
Die Steigung nimmt nun wieder auf 10% ab. Das
Chalet Halte 2000 erreicht man nach etwa 10 km. Oberhalb des Gebäudes folgt
eine weitere Kehrengruppe über einen karg bewachsenen Geröllhang, der über
eine weitere Talstufe leitet. Dann kommt sogar eine kurze Abfahrt, mit der für
kurze Zeit die Talseite gewechselt wird. Man muß einen See umfahren, um dann zu
einer erneuten Talstufe zu gelangen.
Mittlerweile ist die Umgebung schon sehr karg
geworden. Heute sind sehr viele Radfahrer unterwegs. Der Himmel ist bedeckt und
zeitweise sind die Bergkämme von Wolken umgeben. Bisher kann ich noch nicht
erkennen, wo ich den Berg überschreiten will. Autos fahren hier sehr selten.
Nach dieser erneuten Kehrengruppe befindet man
sich ein einem Talkessel. Es folgt ein längeres flacheres Stück, und der
Talkessel wird, wie in einer Steilkurve, durchfahren. Am Schluß verläßt man
ihn in der gleichen Richtung aus der man gekommen ist, nur etwas höher und auf
der anderen Bachseite. Dann setzt die Steigung erneut mit 12% ein. Über enge
Kurven, die eine ganze Zeit lang anhalten, gelangt man dann zum verfallenen Fort
von Restefond. Auch hier läßt die Steigung noch nicht nach.
Oberhalb der Gebäude kann man im schwarzen Geröllhang
die sich immer höher ziehende Straße erkennen, die dann hinter einem Berg
verschwindet. Hier, in über 2.600 Metern Höhe, merkt man die dünnere Luft
doch schon ganz gut. Als ich den Punkt erreiche, an dem die Straße eben meinen
Blicken verloren ging, bietet sich ein überragender Anblick.
Nach Westen hin habe ich jetzt den höchsten Punkt
überschritten. Von hier führt ein schmaler Weg genau nach Süden ins Tal. Über
ihn kann man, die nun noch folgende Steigung, umgehen. Meine Straße aber knickt
scharf nach Osten ab und steigt weiter an. Nach weiteren Metern erreiche ich
einen schmalen Grat. Hier befindet sich auch der Restefond-Paß, der aber nur
noch von Fußgängern begangen werden kann.
Im ganzen Grat, der sich hier von Norden nach Süden
zieht, sind alte Stellungen eingegraben. Ich folge nun knapp unterhalb des
Grates der Straße nach Süden. Sie ist nun nur noch einspurig und teilweise
liegt auch viel Schiefergestein darauf. Die wenigen Leitplanken geben nur einen
rein optischen Halt. Teilweise sind sie vom Sturm und Geröll total verbogen und
aus den Verankerungen gerissen.
Von hier aus hat man auch die Cime de la Bonette
direkt im Blickfeld nach Süden. Die Bergkuppe ist zeitweise in Wolken. Nach
wenigen hundert Metern folgt der Durchbruch durch den Grat, der Col de la
Bonette (2.710 m). Der Durchbruch ist nur etwa 10-15 Meter lang. Auf der anderen
Seite verläuft die Straße nach Nizza genauso am Grat entlang, nur
entgegengesetzt.
Aber es wird sich nach Möglichkeit niemand die
Chance entgehen lassen, dem Grat noch weiter nach Süden zu folgen. Die Straße
wird nun noch schmäler und ist auch nur noch eine Einbahnstraße. Die Steigung
nimmt wieder auf 12% zu. Ich kann immer nur noch wenige hundert Meter fahren und
muß dann pausieren. Nach zwei Kilometern erreiche ich dann, am südlichsten
Punkt der Bonetteschleife, den höchsten Punkt der Straße mit 2.802 Metern
(12.20 Uhr).
Hier genieße ich die leider immer schlechter
werdende Aussicht. Von hier führt ein kurzer Fußweg zum Gipfel (2.862 m). Ihm
folge ich einige Meter, um noch besser sehen zu können. Die Wolken rücken
nun aber immer näher und so beschließe ich, die Talfahrt zu beginnen. Bis
nach Nizza, dem heutigen Ziel, sind es ja noch über 130 km.
Wieder am Fahrrad angelangt, fallen erste
Regentropfen. Aus dem Südosten kommen tiefhängende Regenwolken. Ich folge
der Schleife nun weiter, wieder in Richtung Norden, zurück zum Col de la
Bonette. Von hier aus nimmt die Straße dann eine weite Schleife nach Osten über
den Col des Granges Communes. Hier halte ich trotz leichten Regens an, um die
Aussicht nach Norden und nach Süden zu genießen.
Da ich mich noch in über 2500 Metern Höhe
befinde, wird es bei anhaltendem Regen nun empfindlich kalt. Ich ziehe ein
zweites Paar Handschuhe an und die Jacke schnüre ich so gut wie möglich zu.
Trotzdem wird es mir bitter kalt bei der weiter folgenden Abfahrt. Zeitweise
erreicht die Straße ein Gefälle von 14%. Die nasse Straße erfordert höchste
Aufmerksamkeit.
Nach einigen Kilometern fährt man mitten durch
ein kleines Bergdorf. Viele Häuser sind schon verfallen. Überall sieht man
noch Spuren von kriegerischen Auseinandersetzungen. An den meisten Häusern
sieht man Einschußlöcher. Kein einziges Haus ist mehr bewohnt. Das gibt dem
Ort einen ganz gespenstischen Charakter.
Kurz vor dem ersten bewohnten Ort gibt es ein
kleines Restaurant. Hier mache ich eine längere Pause, um mich aufzuwärmen.
Als der Regen wieder etwas weniger wird, beschließe ich weiterzufahren. Das Gefälle
wird nun weniger. Trotzdem geht die Fahrt recht zügig voran. Nach einiger Zeit
hört der Regen ganz auf.
Zuerst hatte ich vorgehabt, wegen des schlechten
Wetters, in St. Étienne de Tinée (14.00 Uhr) zu übernachten. Aber der Ort gefällt
mir überhaupt nicht. Mittlerweile wird es aber wesentlich wärmer und die Sonne
läßt sich sogar zeitweise sehen. So fahre ich immer weiter nach Süden.
Das Tal wird nun wieder enger und zeitweise
schluchtartig. Eine Besonderheit des Tals ist der immer roter werdende Schiefer.
Zum Schluß ist er karminrot bis lila. Danach nimmt er wieder die gewöhnliche
schwarze Farbe an.
Nachdem ich Isola durchfahren habe folgt die längste
Schlucht, die ich jemals gesehen habe. Auf etwa 45 Kilometern fahre ich in einer
Schlucht, die immer enger wird. Am Schluß ist sie nur noch wenige Meter breit
und die Felsen steigen beidseitig mehrere hundert Meter in die Höhe. Hier habe
ich auch leichten Steinschlag und ich beeile mich, um so schnell wie möglich
aus der Schlucht heraus zu kommen.
Auf den letzten Kilometer wird aus dem immer stärker
werdenden Gegenwind ein richtiger Sturm. Andauernd habe ich Sand in den Augen
und zwischen den Zähnen.
Kurz vor dem Ende der Schlucht kommt die Hauptstraße
von Gap nach Nizza hinzu. Es bildet sich leichter Lkw-Kolonnenverkehr, der aber
noch gut zu ertragen ist. Dann öffnet sich das Tal. In Plan du Var lege ich
eine längere Pause ein um mich zu erfrischen. Dann nehme ich die letzten
Kilometer nach Nizza in Angriff.
Es wird nun immer wärmer, um nicht zu sagen,
richtig heiß. Die Straße wird immer verkehrsreicher. Bald ist sie
dreispurig, und dann auch vierspurig. In Carros ergibt sich endlich die Möglichkeit,
um auf die westliche Seite der Vars zu wechseln. Dort ist die Straße zwar
wesentlich schmäler, aber es gibt auch weniger Verkehr.
Bald danach erreiche ich die Vororte von Nizza.
Leider ist der Flughafen nur über die Autobahn ausgeschildert. So verfahre ich
mich etliche Male. Um 17.50 Uhr bin ich dann endlich im Flughafengebäude. Am
Schalter von Air France wird mir dann gesagt, daß am nächsten Morgen ein Flug
nach Mahón auf Menorca geht.
Dann mache ich mich auf Zimmersuche. Auf der anderen Seite der sechsspurigen Uferstraße, gegenüber vom Flugplatz, bekomme ich dann ein gutes Zimmer (18.30 Uhr). Nach dem Duschen esse ich dann im Hotel. Danach unternehme ich noch einen kurzen Spaziergang in der wunderschönen Sommernacht. Das Fahrrad kann ich in der Tiefgarage abstellen.
km: | 151,05 |
Ø | 18,3 km/h |
Zeit: | 10:50 Stunden |
ges: | 995 km |