Mittwoch, 28.08.91

Heute Morgen bin ich ganz früh aufgestanden. Um 8.00 Uhr habe ich schon gefrühstückt, mein Fahrrad bepackt und bezahlt. So geht’s nun aufwärts zum Großen St. Bernhard Paß. Die Straße verläuft auf der linken Seite im Schatten. Es fahren noch weniger Autos und Lkws als am Vorabend. Hinter Osières steigt die Straße über zwei großzügige Kehren stark an. Kurz vor Liddes ist ein ähn­li­ches Bauwerk. Auch nach Liddes läßt die Steigung kaum nach. Teilweise beträgt sie 11%.

Nach vorne hat man eine herrliche Aussicht auf den steil aufragenden und ver­gletscherten Mont Velan. Er überragt hier alles. Den längeren Tunnel vor Bourg St. Pierre kann man rechts umfahren. Dies sollte man auf keinen Fall versäumen, da man von hier eine sehr schöne Aussicht auf den Mont Velan und auch das Tal hat. Im Ort bin ich um 10.15 Uhr. Hier lege ich eine kurze Pause ein, um mich mit neuen Getränken zu versorgen.

Direkt hinter dem Ort beginnt die mehrere Kilometer lange geschlossene Lawinengalerie, die bis zum Mauttunnel reicht. Diese Galerie ist notwendig, da die Straße auch im Winter offen gehalten wird, und das Tunnelportal in einer ungewöhnlichen Höhe liegt. Am Anfang der Galerie befindet sich eine Baustelle. Das hat für mich den Vorteil, daß nur alle fünf bis zehn Minuten Autos von hinten folgen. So ist die Fahrt in der geschlossenen Röhre doch ganz annehmbar und mal was ganz anderes. Die Steigung geht kaum einmal unter 6%.

Am Beginn des Mauttunnels gibt es eine kleine Ausfahrt, die im Winter durch ein dickes Tor verschlossen wird. Hier verlasse ich die Galerie und fahre in ein einsames Hochtal hinein. Es ist nun 10.45 Uhr. Die Straße ist schmal und zeitweise sehr windungsreich. Auch die Steigung geht kaum unter 11%. Stellenweise liegt im Tal noch Schnee. Die Aussicht hier ist überwältigend. Leider kann man nicht in Richtung Mont Blanc sehen, da dort noch einige Berge im Weg stehen. Kurz vor der Paßhöhe, die man vorher nicht erkennen kann, sind noch einmal einige enge Kehren zu überwinden, bis man ganz unvermittelt vor dem Hospiz, das eingekeilt zwischen den Felsen steckt, steht (2.469 m).

Hier riecht es unangenehm nach den hier gezüchteten Bernhardinern. Scheinbar werden aus touristischen Zwecken hier viel zu viele Hunde gehalten. Den Paß, und damit auch die Schweizer Grenze, überschreite ich um 12.20 Uhr. Von der Paßhöhe hat man kaum eine Aussicht wegen den eng zusammengerückten Bergen.

Knapp unterhalb der Paßhöhe sieht man hinter einem See die italienische Zollstation. Hier werden meine Personalien sehr gründlich geprüft. Kurz nach der Zollstation, hinter einer engen Kurve, kann man dann sehr gut ins Tal, in Richtung Aosta blicken.

Die nun folgende Abfahrt hat sehr viele enge Kurven. Nach einigen Kilometern sieht man einen Tunnel aus dem Berg herauskommen, der auch hier in eine ge­schlos­sene Lawinengalerie übergeht. Ich brauche aber auf dieser Seite nicht in die Galerie hinein zu fahren, sonder meine Straße geht separat hinunter nach St. Oyen, wo sich beide Straßen wieder vereinigen. Von hier hat man auch wieder einen guten Blick zurück auf das häßliche Bauwerk der Mautstraße, welches das ganze Tal verunstaltet.

Der weitere Straßenverlauf verliert nun an Gefälle. Auch führt die Straße oft durch enge Ortschaften. Das Verkehrsaufkommen ist hier noch gering. Der Blick zurück, zum alles überragenden und das Tal beherrschenden Mont Velan, ist sehr reizvoll. Über mehrere steile Talstufen gelangt man dann in den Talkessel von Aosta (583 m). Hier ist fürchterlich viel Verkehr. Wenn es eine Möglichkeit geben würde, würde ich die nun folgenden 35 Kilometer umgehen. Leider fährt zur Zeit kein Bus und die Bahnlinie ist scheinbar stillgelegt. Die Straße nach Courmayeur ist unheimlich stark durch Lkw-Kolonnenverkehr belastet. Als Fahrradfahrer kommt man sich ganz schön verloren vor.

Die Straße steigt nun ständig mäßig an und geht durch viele Tunnels. Teilweise kann ich die Tunnels auf den alten Straßen und Tunnels umgehen. Leider ist dies nicht immer möglich. So warte ich immer ab, bis wieder eine Kolonne vorbei ist und beeile mich dann schnell hindurch zu kommen, bis die nächste Kolonne kommt.

Um 14.45 erreiche ich Arvier. Dort pausiere ich ziemlich genervt etwa eine Stunde lang. Dann starte ich wieder zum letzten geplanten Teilstück für den heutigen Tag. Ab Morgex kann ich dann endlich die Hauptstraße nach rechts ver­lassen, und dort eine Parallelstraße benutzen. Diese steigt zwar hoch über das Tal an, aber ich habe endlich keine Lkws mehr. Von hier aus sieht man auch, daß das Aostatal ein schönes grünes Tal mit südlicher Vegetation und viel Wein ist.

Das letzte Stück geht es nun wieder steil ab nach Pré St. Didier. Hier habe ich eigentlich geplant zu übernachten. Nach dem dritten Versuch gebe ich dieses Vorhaben aber auf. Pré St. Didier ist total ausgebucht. Ich mache mich also auf in Richtung kleiner St. Bernhard Paß. Während den letzten 20 km bis Pré St. Didier habe ich ständig das imposante Massiv des Mont Blanc vor mir gehabt.

Die Straße steigt aus dem Tal mit 9% steil an. Nach der zweiten Kehrengruppe und einem Tunnel läßt die Steigung etwas nach. Von nun an kann man auch die Mont Blancgruppe nicht mehr sehen. Das letzte Stück vor La Thuile steigt noch­mals stärker an mit 9%. Nach einer kurzen Talverengung mit einem Tunnel ist man dann unvermittelt in La Thuile (1.447 m), das man vorher nicht sehen konnte. Nach einer Rundfahrt durch den Ort finde ich nach etwa einer halben Stunde ein Hotel. Hier bekomme ich für 40.000 Lira ein Zimmer. Das Fahrrad wird in der Garage untergebracht. Auch La Thuile ist fast ausgebucht. 

Nach dem Duschen mache ich mich auf zum Abendessen. Empfohlen wird mir eine Pizzeria am anderen Ende des Ortes. Als ich dort ankomme ist sie bis auf den letzten Platz besetzt. Der Wirt gibt mir zu verstehen, daß ich einen kurzen Moment warten soll. Dann wird für mich ein Tisch fertig gemacht, und ich bekomme eine vorzügliche Pizza, die direkt in dem Raum in einem großen Backofen zubereitet wird. In der Pizzeria ist Hochstimmung. Es sind viele italienische und französische Familien hier, die für südländische Stimmung sorgen.

km: 111,75
Ø 14,8 km/h
Zeit: 10:25 Stunden
ges: 522 km


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