Donnerstag, 29.08.91

Heute ist ein wunderschöner Tag. Die Sonne scheint vom fast wolkenlosen Himmel. Nach dem Frühstück und dem Bepacken des Fahrrads starte ich um 9.10 Uhr. Über La Thuile sieht man die Gletscher der Testa del Rutor glänzen. Nach eini­gen Kehren oberhalb des Orts verliert man sie aber aus dem Blickfeld, und im Norden treten ganz andere Berge hervor. Durch ein enges Tal sieht man den Tré-la-Tête, einen ganz vergletscherten Fastviertausender. Die Steigung liegt meist bei etwa 9%. Auf den folgenden Kilometern bis zur Paßhöhe ist man dann links und rechts von einem großartigen und kaum zu übertreffenden Gletscherparadies umgeben.

Dann folgt mit der Paßhöhe (2.188 m) auch die Grenze zwischen Italien und Frank­reich. Es ist nun kurz vor 11.00 Uhr und ich befinde mich in Hochsavoyen. Die Paßhöhe gestaltet sich als ein lang gestreckter Sattel. Hier mache ich eine längere Pause um diese überwältigende Aussicht zu genießen.

Nun ziehen die Berge im Südwesten die Blicke auf sich. Besonders sticht der Mont Pourri mit seinen Hängegletschern hervor. Dieser Berg ist einzigartig in den Alpen. Den besten Ausblick auf diesen Berg hat man zwei Kilometer vor La Rosière, wo die Straße scharf nach Süden abknickt. Vor hier aus sieht man auch sehr gut auf Séez und Bourg-St. Maurice. La Rosière ist ein moderner und bekannter Ort des internationalen Skizirkus.

Nach weiteren drei Kehren gibt es dann eine Abkürzung ins Tal der Isère. Man kann über 200 Höhenmeter und über 10 km Fahrtstrecke einsparen. Des weiteren gibt es so gut wie keinen Verkehr. Scheinbar haben noch andere Fernradler diese schmale und steile Straße gefunden, obwohl sie nicht in den Alpenstraßenführern erwähnt wird, denn es kommen mir zwei Gruppen dieser Spezis entgegen.

Diese Abkürzung führt mich um 12.30 Uhr nach Sainte Foy du Tarentaise (1.051 m). Direkt nach Ste. Foy beginnt dann wieder das Bergauffahren mit Steigungen bis zu 12%. Später geht sie aber wieder auf 8% zurück. Auf der rechten Seite erscheinen nun hoch über mir die Hängegletscher des Mont Pourri. Von den Gletscherzungen fallen wunderschöne Wasserfälle zu Tal. Das ist der schönste Anblick meiner ganzen Fahrt.

Einige Zeit später erreiche ich die Abzweigung nach Tignes des Bois. Dort ver­lasse ich die Hauptstraße, weil diese nun durch mehrere Tunnel steil nach oben führt, und fahre durchs Tal bis zur Staumauer des Lac du Chevril. Dort folgt ein steiler Anstieg dicht neben der Staumauer zur Dammkrone. Hier muß ich zeitweise schieben. Es folgt einer der seltenen Kehrtunnel.

Über die Dammkrone gelange ich nun wieder zur Hauptstraße, die durch sieben Tunnels entlang des Sees führt. Zwischen den Tunnels kann man die Gletscher der Grande Motte über dem Retortenskiort Lac de Tignes erkennen. Nach einer kurzen engen Schlucht am schmalen Ende des Sees erreiche ich Val d'Isère (1.840 m), einen weiteren hochmodernen Skiort (15.10 Uhr). Ich bin sehr er­schrocken über die rege Bautätigkeit hier. Diese resultiert aus den in fünf Monaten beginnenden Olympischen Spielen, die zum Teil auch hier stattfinden.

Ich mache eine längere Pause am Ende des Ortes, wo ich einen ganzen Liter Mineralwasser trinke. Dann geht's auf Zimmersuche. Eine Pension ist im ganzen Ort nicht zu finden und so beschließe ich in ein Hotel zu gehen. Um 17.00 Uhr habe ich dann endlich ein Zimmer. Das Fahrrad kann ich in der Bar, die zur Zeit nicht genutzt wird, abstellen. Als ich zurück in mein Zimmer komme, das ich für die kurze Zeit nicht abgeschlossen habe, sind dort schon andere Gäste eingezogen. Leider sprechen diese nur französisch. Ich versuche ihnen klarzumachen, daß dies mein Zimmer ist. Erst nachdem ich ihnen meinen Zimmerschlüssel gezeigt habe, verstehen sie, was ich meine. Ich habe Zimmer 4 und sie haben 4a. 4a liegt paradoxer Weise auf der ganz anderen Seite des Hotels. So komme ich dann wieder zu meinem Zimmer.

Nach dem Duschen gehe ich nochmals in den Ort. In einem Supermarkt kaufe ich mir einige Lebensmittel und weitere Getränke. Pro Tag benötige ich etwa vier bis fünf Liter Flüssigkeit, was sich manchmal als Transportproblem herausstellt, wenn die Etappen zwischen bewohnten Gebieten allzu lang werden. Val d'Isère ist ein sehr interessanter Ort. Da er fast über der Baumgrenze liegt, müssen die Häuser durch Lawinenverbauungen geschützt werden. Das ist aber nicht überall möglich. So haben in der Mitte des Orts manche Häuser sehr dicke Wände und keine Fenster nach der gefährdeten Seite. Des weiteren steht an die­sen Häusern ein Schild, daß es sich um gefährdete Häuser handelt und das Bewohnen auf eigene Gefahr geschieht. Bis etwa 21.00 Uhr abends wird oberhalb des Hotels eine neue Skiabfahrt in den Fels gesprengt.

km: 109,08
Ø 16,1 km/h
Zeit: 6:09 Stunden
ges: 585 km


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