Freitag, 30.08.91

Am nächsten Morgen werde ich um 7.00 Uhr schon wieder durch eine Explosion aus dem Schlaf gerissen. Der heutige Tag ist wolkenlos. In Val d'Isère ist es am Morgen noch sehr frisch, wegen der ungewöhnlichen Höhe für einen Wohnort. Um 8.50 Uhr verlasse ich das Hotel. Die Steigung beginnt schon vor dem Ortsende, wo die Straße viel schmaler und auch schlechter wird, und geht bis zur Paßhöhe selten unter 10% zurück. Zuerst fährt man bis zum Talschluß. Danach geht es auf der gegenüberliegenden Talseite steil nach oben.

Zu Beginn des Anstiegs, kurz nachdem man die junge Isère überquert hat, ist die Straße blockiert. Es liegen dicke Steine und Geröll auf der Straße. Ein Bagger entfernt gerade die Straßensperre. Ich muß etwa 20 Minuten warten und genieße die Aussicht. Die Straße wird dann für einen kurzen Moment für den Verkehr freigegeben, danach erfolgt eine erneute Sperrung. Das hat den großen Vorteil für mich, daß über lange Zeit von hinten keine Autos kommen können. Aber auch ohne diese Sperrung wäre das Verkehrsaufkommen gering.

Nach einem langen und kurvigen Anstieg folgt sogar eine kurze Abfahrt, die um einen Felsvorsprung ins nächste Tal führt. Dieses Tal führt nun zum Col du Isèran (2.764 m), dem zweithöchsten Alpenpaß. Die Steigung nimmt nun wieder bis zur Paßhöhe auf 10% zu. Nach einigen Kehren und einer erneuten Talstufe folgt ein ödes Hochtal. Am Schluß kommen wenige enge Kurven und dann die Paßhöhe (11.10 Uhr; 17,10 km, Ø 9,4, 602 km). Bemerkenswert ist, daß dieses ganze Gebirgsmassiv aus Schiefer ist.

Hier oben treffe ich einige Gleichgesinnte. Für einen längeren Aufenthalt ist es auf der Scheitelhöhe aber viel zu kalt und stürmisch. So schaue ich mir kurz die Gegend an und trete dann die bis zu 11% steile Talfahrt an.

Schon kurz unterhalb der Paßhöhe läßt der Wind nach und man kann die schönen Motive in allen Richtungen genießen. Nach 14 km Abfahrt gelange ich dann wieder in bewohntes Gebiet, doch das Gefälle reicht nicht immer aus, um ohne Mus­kelkraft weiter zu kommen. Nach weiteren 10 km beginnt ein kurzer Anstieg zum Col de la Madeleine (1.752 m). Hier muß eine enge und tiefe Schlucht umgangen werden. Solche Schluchten werden nun häufiger.

Auf der Paßhöhe treffe ich einen Belgier, der auch schon einige Tage unterwegs ist. Nun folgt in weiten Kehren die Abfahrt nach Lanslevillard (12.05 Uhr) und Lanslebourg. Hier trifft auch die ehemalige Hauptverkehrsstraße von Turin über den Col du Mont Cenis auf meine Straße. Der hier befürchtete Schwerlastverkehr bleibt aber gänzlich aus. Die Lkws benützen nun alle den Tunnel du Fréjus. Auch fahren hier sehr wenige Pkws.

Über dem Col de Mont Cenis ist Föhndurchbruch von Süden. Das ist ein einmaliger Anblick. Der Himmel ist wolkenlos. Nur über den schmalen Sattel kommen dicht an den Bergrücken angedrückt, die Föhnwolken in rasender Geschwindigkeit ins Tal geströmt. Unten im Tal lösen sie sich dann gänzlich auf.

Als ich mit dem Fahrrad in diesen Bereich im Tal komme, werde ich fast um­ge­drückt. Das Fahren ist sehr schwierig. Zum Glück ist es ein konstanter Sturm. Nach wenigen hundert Metern ist der Spuk vorbei.

Die Straße führt nun zeitweise hoch über dem Tal der Arc, an einer engen Schlucht vorbei. Die Tiefblicke sind sehr imposant. Auch gibt es hier große Festungen, die das Tal bewachen.

Der Verkehr nimmt erst hinter Modane, wo die Straße durch den Tunnel du Fréjus aus Italien kommt, stärker zu. Es bilden sich wieder lange LKW-Kolonnen. Zwischen den Kolonnen gibt es aber größere Löcher, wo ich fast allein auf der Straße bin.

Um 14.55 erreiche ich St. Michel de Maurienne (712 m). Der Ort gefällt mir aber über­haupt nicht. Nach einer halbstündigen Pause im Ortszentrum, wo ich auch neue Getränke kaufe, starte ich zum Anstieg auf den Col du Télégraphe (1.570 m). Von St. Michel sieht man direkt, hoch über dem Ort, die Sendeanlagen auf dem Télégraphe-Paß. Von hier unten sieht das alles gar nicht so ermutigend aus, wenn man das Ziel direkt vor Augen hat, aber noch 12 km zu fahren hat und 850 Höhenmeter überwinden muß.

Im Talkessel von St. Michel ist es sehr heiß. Zum Teil schiebe ich mein Fahrrad auf der mit 8-10% ansteigenden Straße. Um 17.15 erreiche ich eine kleine Wirt­schaft am Paß. Ich bestelle mir einen Liter Mineralwasser, den ich von dem lachenden und leicht betrunkenen Wirt in einem Maßkrug serviert bekomme.

Von 17.40 Uhr bis 17.50 Uhr habe ich dann noch die kurze Abfahrt nach Valloire (1.430 m) hinter mich zu bringen. Dort finde ich im Hotel de la Poste sehr schnell ein Zimmer. Der Hausherr spricht nur französisch. So gestaltet sich das Gespräch sehr interessant. Das Fahrrad kann ich in der Garage unterstellen.

Nachdem ich mich geduscht habe, unternehme ich einen Spaziergang durch den schönen Ort. Das Abendessen nehme ich dann in einem Restaurant ein. Auch hier habe ich viel Spaß bei der Bestellung, aus der komplett französisch gehaltenen Speisekarte. Auch die Bedienung kann mir hier nicht viel weiter helfen. So bestelle ich, was sich am besten anhört und aussprechen läßt. Ich kann aber mit meiner Wahl sehr zufrieden sein.

km: 109,08
Ø 16,1 km/h
Zeit: 9:05 Stunden
ges: 694 km



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