Dienstag, 25.07.2000

Das Wetter hat sich total verändert. In der hellen Nacht ist das Thermometer bis auf 3°C gesunken. Jetzt ist es sonnig und warm. Im Zelt ist es schon zu warm. Ich hänge meine noch nassen Klamotten zum Trocken übers Fahrrad. Das spanische Nachbarzelt sieht ziemlich mitgenommen aus. Von den Bewohnern ist noch nichts zu sehen. Sie haben, wie ich später von ihnen erfahre, die letzte Nacht bei der französischen Wandergruppe in Nusfjord verbracht. Sie hatten am Vortag Wäsche zum Trocken am Zelt aufgehängt. Die Wäsche liegt nun im weiten Umkreis um das Zelt verstreut. Außerdem haben sich die Spannleinen gelockert. Kaputt ist zum Glück nichts. Die Wäsche bedarf einer erneuten Wäsche. Rundum sind die meisten Zelte abgebaut. Zum Teil sitzen die ehemaligen Bewohner in ihren Pkws. Die Nacht war schon ganz schön heftig.


Das Wetter ist nicht mehr wieder zu erkennen

Nach dem Frühstück packe ich alles zusammen. Mal sehen, ob das erste Packen auch klappt? Zwischendurch stelle ich fest, daß mein Vorderreifen platt ist. Beim Luftpumpen lächelt mich der Schlauch an. Entsetzt lasse ich wieder Luft ab. Das darf doch wohl nicht wahr sein. Im Mantel befindet sich eine Scheuerstelle. Vor dem Urlaub habe ich aus Vorsorge eine neue Felge gekauft. Diese hat wohl ein etwas anderes Format. Aus diesem Grund haben die Bremsklötze seitlich den Mantel beschädigt. Durch diesen Riss sehe ich den Mantel.

Trotzdem packe ich fertig und belade das Rad. Über den Campingplatz schiebe ich das Rad. Auf der anderen Seite angekommen, bezahle ich und fahre über den Schotterweg in Richtung Fredvang. Kurz vor dem Erreichen der Teerstraße gibt es einen lauten Knall. Der vordere Mantel ist auf einer Länge von 3-5 cm aufgerissen. Der Schlauch hat ein entsprechend großes Loch. Ich flicke das Loch notdürftig mit einem riesigen Flicken und pumpe nur ganz wenig Luft auf. Der Mantel kann sich jederzeit vollständig verabschieden. Dann ist schieben angesagt. Besser mit wenig Luft schieben als ohne Luft irgendwo im Nirgendwo festsitzen.

Meine Hoffnung beruht auf Ramberg. Der Ort ist nur wenige Kilometer entfernt hinter den Brücken. Dort angelangt frage ich nach Fahrradreifen. Ich werde auch direkt nach hinten verwiesen. Dort muß ich nur leider feststellen, daß kein Mensch auf die Idee kommt mit einem Rennrad auf die Lofoten zu fahren. Aus diesem Grund gibt es auch nur Schwalbe Marathon Reifen und die passen beim besten Willen nicht auf mein Rad.

Es bleibt mir nichts anderes übrig als weiter zu schieben oder mein Zelt schon wieder aufzuschlagen. Da heute ein besonders schöner Tag ist entschließe ich mich zum Schieben. Ich befinde mich im wildesten Teil der Lofoten und diese Aussicht kann ich heute zu genüge genießen. Positives Denken ist angesagt. 

Kurz hinter Flakstad sehe ich schon auf der anderen Seite des Flakstadpollen meinen weiteren Weg. Da ich aber den gesamten Fjord umrunden muß, dauert es einige Stunden bis ich den nur wenige hundert Meter von mir entfernten Punkt erreiche. Heute sind eine ganze Menge Radler unterwegs. Es halten auch einige an um nach meinem Problem zu fragen. Die Hilfsbereitschaft ist groß. Ich hätte auch mit Sicherheit mit jemandem trampen können.


Am Flakstadpollen

Nach dem Ort Vareid, gegenüberliegen von Flakstad, führt die E10 ins Inselinnere. Es ist ein kleiner Paß zu überwinden. Hier gibt es auch einige Süßwasserseen. Ich genieße das Wasser um mir das Salz von der Haut zu waschen. Heute ist es sehr warm und vom nächtlichen Sturm ist nichts mehr zu spüren.

Nach dem Paß führt die Straße direkt hinab nach Napp am Nappstraumen. Langsam beginne ich mir Gedanken darüber zu mache, wie ich die nächste Insel erreiche. Die Inseln Flakstadøya und Vestvågøya sind durch einen Tunnel verbunden. Der Tunnel führt in eine Tiefe von 65 Metern unter der Meeresoberfläche und ist 1,4 km lang. Davor habe ich ziemlich großen Respekt. In Napp angelangt, pumpe ich etwas mehr Luft auf den Vorderreifen und fahre auch die wenigen Meter bis zur Tunneleinfahrt. Dort an der Mautstelle angelangt frage ich nach, ob es überhaupt erlaubt ist, mit dem Rad hindurch zu fahren. Die Frau im Kassenhäuschen erklärt mir, daß es keine Probleme gibt. Auf der in meiner Fahrtrichtung linken Seite gibt es einen erhöhten Fußgänger- und Radfahrstreifen. Den könne ich problemlos benützen. Radfahrer brauchen auch keinen Maut in Höhe von 65 Kronen zu zahlen.

Also rolle ich in die halbdunkle Röhre hinein. Zum Glück habe ich vorher Handschuhe und Trainingsanzug angezogen. Es ist bitter kalt. Außerdem tropft es an allen Ecken und Kanten. Am tiefsten Punkt angelangt dröhnen mir die ständig laufenden Pumpen in den Ohren. Scheinbar ist das Ding hier ziemlich undicht. Ein anderer Radler hat den Tunnel als größte Tropfsteinhöhle der Lofoten bezeichnet.

Vom tiefsten Punkt an aufwärts ist kräftiges Schieben angesagt. Nach einigen Minuten bin ich wieder im Sonnenlicht. Das war der bisher unangenehmste Tunnel in meinem Leben, trotz des geringen Autoverkehrs darin. Es gehen einem einige düstere Gedanken durch den Kopf, wenn man in einem solchen schwarzen Nichts ist.


Das Tageslicht hat mich wieder

Nach dem Tunnel ist der Ort Leknes lange nicht erreicht. Es fehlen noch einige Kilometer. Auch hier schiebe ich weiter. Die letzten Kilometer vor Leknes nimmt der Verkehr merklich zu. Dummerweise schiebe ich entlang des Hauptzubringers. Die Abkürzung habe ich übersehen. Leknes hat 1.500 Einwohner und ist die erste Stadt, die ich erreiche. Mittlerweile hat der Feierabendverkehr eingesetzt. Ein Sportgeschäft erreiche ich um 18.30 Uhr, nach 39 km schieben. Eigentlich ist schon geschlossen. Trotzdem werde ich noch bedient. Zwischen all den Mountainbikereifen gibt es genau eine Sorte Rennradreifen. Puh, nochmals Glück gehabt.

Draußen ziehe ich den neuen Mantel auf und zweige in Richtung Storfjord ab. Endlich wieder radeln. Ist das schön. Mir schmerzen die Füße. An beiden Füßen habe ich Blasen. Beim normalen Gehen habe ich eigentlich nie Probleme. Da ich das Rad, das ca. 45 kg wiegt, ziemlich einseitig schieben mußte, wurde der Körper einseitig belastet, was sich jetzt bemerkbar macht.

Zwischen Leknes und Storfjord befindet sich ein 130m hoher Paß. Der geht mir heute Abend ganz schön in die Knochen. Um so schöner ist die Abfahrt. Storfjord sieht von hier oben aus wie eine Modelleisenbahnlandschaft. Links und rechts von Bergen umgeben, davor zwei kleine Süßwasserseen. Storfjord selbst besteht nur aus wenigen Häusern. Zwischen den Seen liegt der Campingplatz.


Storfjord

Für Zelte gibt es nur eine kleine, unebene Wiese. Der meiste Platz ist für Wohnmobile und Hütten reserviert. Am heutigen Abend werden nach und nach sechs Zelte aufgebaut. Direkt neben mir ist ein älteres norwegisches Ehepaar, ebenfalls per Rad. Dann ein junger Franzose mit Rad. Gegenüber bauen zwei Italiener ihr Zelt auf. Sie kommen mit Motorrädern aus der Nähe von Rom.

Heute gibt's die erste Panne beim Duschen. In Skandinavien benötigt man meist ein 5 Kronenstück zum Duschen. Nach dem Einwerfen hat man für zwei bis fünf Minuten warmes Wasser. Also zieht man sich zuerst aus, wirft das Geld ein und wäscht sich ziemlich schnell. Vor allem sollte man mit der Haarwäsche beginnen, da man ansonsten den Schaum nicht mehr raus bekommt.

Ich werfe das Geld ein und es passiert nichts. Da ich mich schon ausgezogen habe ist das natürlich ziemlich dumm. Zum Glück kommt hier zumindest kaltes Wasser. Oft wird die komplette Leitung durch die Münze freigegeben. Es ist also eine erfrischende Dusche angesagt. Dadurch bin ich sehr schnell fertig.

Nach dem Duschen sehe ich mir die Technik etwas genauer an und sehe auch den Hinweis, daß diese Dusche nur mit alten 5ern bedient werden kann. Ich habe nur neue. An der zweiten Dusche gibt's diesen Hinweis nicht. Morgen bin ich deshalb schlauer, denke ich.

Am Abend ergibt sich eine muntere Unterhaltung am Lagerfeuer. Gegen Mitternacht kehrt Ruhe ein.

Statistik:
Tageskilometer:  47 km, davon 39 km geschoben
Höhenmeter:  444 m
Höchster Punkt 130 m
Tiefster Punkt -65 m
Fahrzeit:  7:09 h
Temperatur: 3° - 22°C
sonnig, leicht bewölkt warm 
8.  Ytresand
9. Ramberg
10. Napp
11. Leknes
12. Storfjord

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