Samstag, 05.08.2000

In der Nacht wird es ungewohnt Dunkel. Nach einiger Zeit höre ich den Grund. Es regnet. Meine Stimmung sinkt. Um 05.30 Uhr ist aufstehen angesagt. Während der Kaffee schon kocht, springe ich nochmals kurz in die Dusche. Wer weis, wann die nächste feste Unterkunft kommt.

Nach dem Frühstück wird das Rad bepackt. Es regnet noch immer leicht. Dann reinige ich die Hütte und los geht's. Es ist nun 07:15 Uhr. Die zwei Kilometer bis zum Raftsundet schiebe, nein, bremse ich das Rad. Die knapp 45 kg ziehen ganz schön an meinen Armen. Dann kann ich endlich wieder fahren. Bis zur Raftsundbrua sind es etwa 4 km und dann nochmals knapp 2 km bis zum Fähranleger.

Dort stehe ich einsam und verlassen herum. Ich habe die größten Bedenken, daß sich hier heute nichts mehr tut. Wieder und wieder studiere ich den Fahrplan. Eigentlich sollte eine Fähre kommen. Zu hören und erst recht zu sehen ist nichts. Es nieselt und ist ziemlich unangenehm kühl.

Dann, überpünktlich, kommt das Fährschiff um einen Felsen herum. Beim Anlegen höre ich oben einen der Angestellten sagen: "Nur ein Bicyclist". Als sich das große Fährmaul öffnet ist dort gähnende Leere. Nur ein Milchtankwagen steht im Laderaum. Dieser verläst die Fähre nicht. Ich schiebe das Rad hinein und los geht's.


Die Fähre bei Hanøy

Ich hatte mich auf einen guten Kaffee gefreut, aber auf diesem alten Seelenverkäufer gibt es nichts. Die Tage dieser Fähre sind wohl gezählt. Wenn die Straße fertig ist, wird sie überflüssig. Im Laderaum binde ich mein Fahrrad mit allem Gepäck an und gehe nach oben. Im Windschatten des Schornsteins ist es einigermaßen auszuhalten.


Ein letzter Blick auf den wolkenverhangenen Raftsundet mit Raftsundbrua

Die Aussicht ist schlecht und meine Stimmung sinkt. Das ist kein Tag zum Radeln. Der erste Halt ist in Helgenes. An diesem Morgen macht sich der Kapitän dort keine Freunde. Er legt mit kräftigem Schwung an. Es haut mich fast von den Beinen und der ganze Fähranleger gerät ins Schwanken. Es steigen weder Personen zu noch aus. Auf dem Anleger stehen noch ein paar kräftig gestikulierende Fahrgäste der kurz zuvor eingetroffenen Schnellfähre. Mit ihr hätte ich auch fahren können, wie ich später feststelle.

Dann geht's weiter. Es erfolgt noch ein weiterer Halt in Lonkan. Dort verläßt der Tankwagen rückwärts die Fähre. Kurz vor der Fähre hält er an. Ein Bauer kommt mit Traktor und kleinem Milchwagen. Die Milch wird umgepumpt und der Tankwagen fährt zurück in den Laderaum. In der Zwischenzeit sind noch zwei deutsche Autos auf die Fähre gekommen.


Milchverkauf auf norwegisch

Nach weiteren 10 Minuten, um 09:15 Uhr erreichen wir Kalljorda. Pünktlich mit dem Anlegen wird der Regen wesentlich stärker. Ich ziehe all meine Regenklamotten an und radle über die verlassene Küstenstraße weiter. In Hennes besuche ich einen Laden und decke mich für den Tag ein. Nach der nächsten Biegung gibt es einen Aussichtspunkt an dem ich das zweite Frühstück einnehme. Der Regen läßt etwas nach, es bleibt aber weiterhin bedeckt. Auf der gegenüberliegenden Seite des hier beginnenden Sortlandsundet ist die kühn angelegte Fjordbrücke bei Stokmarknes zu sehen, im Norden die riesige Sortlandbrücke.

Für die nächsten Stunden folge ich der Küstenstraße, entlang des südlichen Sortlandsundet. Zum Teil sind große Einbuchtungen zu umfahren und es kommen auch einige Höhenmeter zusammen. Grundsätzlich ist diese Straße sehr zu empfehlen, da es kaum Verkehr gibt und die Aussicht trotz des schlechten Wetters gut ist.

Nach Blokken und Djupfjord führt die Straße in den tief eingeschnittenen Sigerfjorden. Nach einem längeren Tunnel bin ich in einer total veränderten Welt. Die Berge rücken immer näher zusammen und werden schroffer. Am Ende des Fjords bin ich wieder in unmittelbarer Nähe der E10. Sie verschwindet direkt in einem neuen Tunnel. Ich kann auf der alten E10 weiterfahren, entlang der Nordseite des Sigerfjords.

Der Ort Sigerfjord ist im Verfall begriffen. Scheinbar passiert hier nichts mehr, seit die E10 den Ort umgeht. Einen Urlaub möchte ich hier nicht verbringen. So verlasse ich den Ort so schnell wie ich gekommen bin. Nach einigen weiteren Kilometern treffe ich wieder auf die neue E10. Zuerst gibt es noch einen parallel verlaufenden Radweg, dann muß ich die Straße selbst nutzen. Da sie sehr breit und gut ausgebaut ist, ist das auch kein Problem.


Radweg und E10 kurz vor der Sortlandbrua

Nach weiteren Kilometern stehe ich an der Sortlandbrücke. Sie führt, wie alle großen Brücken, in eine Höhe von über 50 Metern. Die Auffahrt ist schleppend langsam. Die Busse und sonstigen Fahrzeuge vor mir kriechen hinauf. Mit dem Rad wäre ich wesentlich schneller. Nach kurzer Zeit erkenne ich den Grund. Von Norden naht eines der großen Hurtigrutenschiffe.

In den Bussen vor mir befinden sich Touristen und die Fahrer bieten ihnen die Möglichkeit zum Photographieren. Nachdem das Schiff unter uns hindurch gefahren ist, hebe ich das Rad auf den Bürgersteig. Die Fahrzeuge werden viel schneller und mir vergeht die Lust zum Strampeln. Außerdem bin ich jetzt nicht mehr im Windschatten und der ungehindert angreifende Sturm macht das Radeln nahezu unmöglich. Selbst das Schieben wird zur Qual. Auch bergab schiebe ich aus Sicherheitsgründen.


Hurtigrutenschiff bei der Unterquerung der Sortlandbrua

Um 13:00 Uhr bin ich in Sortland und damit auf den Vesterålen. Irgendwie macht mir das Radeln heute keinen rechten Spaß mehr. Ich fahre unentschlossen durch die Straßen des Orts. Im Hafen wälze ich meine Karten. Wohin soll ich weiter fahren. Es hat zwar zu regnen aufgehört, aber begeistert bin ich immer noch nicht. So fahre ich zurück zur E10 und ein weiteres Mal am Sortland Nordic Hotel vorbei. Es war mir schon zuvor aufgefallen. Es steht direkt an der Hauptstraße, nur unweit des Zentrums..

Es ist zwar noch recht früh, trotzdem frage ich nach einem Zimmer und erhalte direkt ein Einzelzimmer. Das Rad kann ich im Hinterhof abstellen. Heute tut die Dusche richtig gut. Es kehrt wieder Wärme in meinen Körper und neue Reiseideen reifen. Mein ursprünglicher Plan war bis hoch zur Nordspitze der Vesterålen, auf die Insel Andøya zu fahren. Dort liegt die kleine Stadt Andenes. Andenes wirbt mit Walsafaris. Eigentlich habe ich eine Walsafari nicht mehr notwendig, da ich sie ja schon vor einigen Tagen gesehen habe. Außerdem hatte mich das norwegische Radelpaar vor Andøya gewarnt. Die Insel sei nicht besonders sehenswert, da es dort größere militärische Anlagen gibt. 

Ich kann es nicht beurteilen, aber so richtige Lust dazu habe ich nicht mehr. Hinzu kommt noch, daß mir nicht garantiert werden kann, daß ich von Andenes mit einer Fähre zum Festland gelange. Genau Fahrzeiten konnte ich bisher nicht erfahren. Sollte ich dort keine Fähre erreichen, müßte ich nochmals ein Stück zurück fahren um in Risøyhamn auf die Hurtigruten zu gelangen.

Langsam muß ich mir auch Gedanken um die Heimreise machen. Ich habe den Rückflug für den 12.08.2000 ab Tromsø gebucht. Noch könnte ich Tromsø aus eigener Kraft erreichen. Dafür bräuchte ich die Fähre Andenes - Gryllefjort. Danach folgt dann eine ziemlich einsame Reise über die größte Insel Norwegens, Senja. In Finnsnes gibt es dann nochmals die Möglichkeit, wenn die Zeit knapp werden sollte, auf die Hurtigruten umzusteigen. Eine Radtour von Finnsnes nach Tromsø  ist mit vielen Umwegen verbunden, da das Land hier von vielen, tief ins Landesinnere reichende Fjorden, durchzogen wird. Ein Zustieg zur Hurtigruten ist nach Finnsnes nicht mehr möglich.

Wenn ich es mir so richtig überlege, möchte ich eine längere Tour mit der Hurtigruten, "der schönsten Seereise der Welt" unternehmen. Ich habe sogar die Möglichkeit, sie etwas zu verlängern. Mein Plan sieht jetzt so aus. Ich fahre noch zwei, maximal drei Tage über die Insel Langøya, an deren östlichem Rand sich Sortland befindet. So gelange ich wieder ans offene Nordpolarmeer, am westlichen Rand der Insel. Hier sind auch die ältesten Felsen der Insel und der gesamten Erde zu finden. Das Alter wird auf über drei Milliarden Jahre datiert.

Danach fahre ich wieder nach Sortland, besser noch nach Stokmarknes, 28 km südlich. Evtl., bei genügend Zeit, sogar wieder nach Svolvær. Das hätte den Vorteil, nochmals mit der Hurtigruten durch den kompletten Raftsundet und den Trollfjord zu fahren. Svolvær hat's mir irgendwie angetan und wäre ein schöner Abschluß meiner Lofotentour. Mal sehen wie es wird und meistens wird's ja doch wieder anders.

Nachmittags laufe ich durch den Ort, gehe einkaufen und trinke Kaffee. Leider hat die Touristeninformation geschlossen, weil Samstag ist. Die Vesterålen sind in meinen Unterlagen ein weißer Fleck. Am Abend gibt es im Hotel ein großes Buffet, das ich ausgiebig genieße. Im Hotel ist eine spanische Reisegruppe, bei der es am Abend noch lange rund geht.

Statistik:
Tageskilometer: 64 km
Höhenmeter:  410 m
Fahrzeit: 3:37 h
bedeckt, trüb, Regenschauer
31. Kongsmarka
32. Hanøy
33. Kalljorda
...   Sigerfjord
34. Sortland

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